Seegravimetrie
Rundschau Nr.36, 1969
Wer schon einmal bei normaler mikroseismischer Bodenunruhe, bei Straßenverkehr oder bei windigem Wetter in der Nähe eines Baumes in ein gewöhnliches Land-Gravimeter geblickt hat und dabei feststellte, daß der Beam nicht zur Ruhe kommt, wird sich wundern, daß man sogar auf einem fahrenden Schiff Schweremessungen machen kann.
Wie schwierig und vielfältig die technischen Probleme sind, zeigt die Tatsache, daß es gut fünfzig Jahre dauerte, bis die ersten brauchbaren Ergebnisse vorlagen.
Schon kurz nach der Jahrhundertwende begannen die Versuche, die Schweremessungen vom Festland auch auf das Meer auszudehnen. In erster Linie war es die Höhere Geodäsie, die in ihrem Bestreben nach der Bestimmung der Erdgestalt und der Geoidundulationen aus Schweremessungen sowie zur Klärung der Isostasiefrage nicht auf die rund zwei Drittel der Erdoberfläche, die von Wasser bedeckt sind, verzichten wollte.
Auch die Erforschung geologischer Großstrukturen und die Lösung tektonischer Probleme riefen den Wunsch nach gravimetrischen Messungen in Meeresgebieten hervor. Später kam auch die angewandte Geophysik hinzu, die in den ausgedehnter. Schelfgebieten nach immer neuen Lagerstätten Ausschau hielt.
PRAKLA hat etwa seit Ostern 1969 ein Askania-Seegravimeter Gss 2,C nach Graf an Bord der Pollux installiert. Seit diesem Zeitpunkt werden mit diesem Gravimeter alle seismischen Profile in der Nordsee auch gravimetrisch vermessen.
Ein wesentlicher Faktor für den erfolgreichen Verlauf von gravimetrischen Seemessungen ist die günstige Aufstellung des Gravimeters. Die Störbeschleunigungen, durch Wind und See hervorgerufen, sind in unmittelbarer Nähe des Schnittpunktes von Roll - und Stampfachse am geringsten. Trotz aller Vorkehrungen bei der Festlegung des Gravimeterstandortes auf dem Schiff, lassen sich diese Seegangseinflüsse nur reduzieren, nicht aber ausschalten.
Ziel der Gravimetermessungen auf See ist es, das Schwerefeld mit seinen Anomalien - sagen wir auf 1 mgal genau - zu erfassen. Nun ist aber das zu messende Schwerefeld, wie schon erwähnt, von Störbeschleunigungen überlagert, die je nach Seegang bis zu 100000 mgal betragen können. Wir haben also ein äußerst ungünstiges Verhältnis von Nutz- und Störenergie. Hier kommt uns jedoch zugute, daß sich die Schwerkraft beim überfahren einer Anomalie nur ganz allmählich ändert, wogegen die vertikalen und horizontalen Störbeschleunigungen eine sehr viel kürzere Periode haben. Außerdem ist die Summe dieser Störbeschleunigungen über einen längeren Zeitraum hinweg immer Null.
Diese beiden Fakten liegen dem Meßprinzip des Seegravimeters zugrunde.
Durch starke magnetische Dämpfung wird erreicht, daß der Meßbalken selbst bei periodischen Beschleunigungen von bis zu 100000 mgal noch immer im linearen Bereich verbleibt, so daß die Mittellage des Balkens der wahren Ortsschwere entspricht, wenn man von einigen Korrekturwerten absieht.
Die eigentliche Messung der sich langsam ändern den Schwere beim überfahren einer Anomalie geschieht dadurch, daß ein empfindliches elektrisches Reglersystem einsetzt, das den Meßbalken wieder in seine Nullage zurückführt, sobald er im zeitlichen Mittel aus seiner horizontalen Lage abzuweichen beginnt.
Die Rückführung in die Nullage wird über die automatische Regelung durch Verdrehen der Meßspindel erreicht, so daß die Verdrehung dieser Meßspindel ein Maß für den jeweiligen Schwerewert ist.
Voraussetzung für die beschriebene Messung ist jedoch, daß das Gravimeter dauernd und unabhängig von den Bewegungen, die das Schiff ausführt, horizontal bleibt. Dazu dient der kreiselgesteuerte Horizonttisch der Firma Anschütz.
Dieser Kreiseltisch, der über einen schnellrotierenden Kreisel mit großer Schwungmasse nach den physikalischen Gesetzen des Kreisels und der Trägheit gesteuert wird, kann den wahren Horizont selbst bei starkem Seegang auf etwa eine Bogenminute genau halten.
Der von dieser Horizontierungsungenauigkeit verursachte Fehler in der Schweremessung liegt in der Größenordnung von 1 mgal und kann bei der Größe der anderen noch zu besprechenden Fehler vernachlässigt werden.
Weit wichtiger ist der sogenannte Cross-coupling-Effekt. Für das Zustandekommen dieses Effektes ist nämlich nicht die Lage des Gravimeters sondern lediglich die Lage des Meßbalkens von Bedeutung.
Sind nämlich Vertikal- und Horizontalbeschleunigungen in Phase, das heißt greift am Schwerpunkt des Meßbalkens eine Horizontalbeschleunigung an in dem Moment wo der Balken durch eine Vertikalbeschleunigung aus der horizontalen Lage abgelenkt ist, dann wird dadurch ein zusätzlicher Schwerwert vorgetäuscht.
Dieser Cross-coupling-Fehler hat die unangenehme Eigenschaft, daß er nicht ganz leicht zu bestimmen ist , es sei denn, man mißt die Horizontalbeschleunigungen und bestimmt gleichzeitig in entsprechend kurzen Intervallen den Auslenkungswinkel des Meßbalkens.
Die beiden bis jetzt erläuterten Korrekturen führen vom rohen Meßwert zur Schwere in Fahrt.
Nun interessiert aber nicht die Schwere, wie sie vom fahrenden Schiff aus gemessen wird. Wir möchten die Schwere haben, die man messen würde, wenn das Schiff absolut ruhig stünde. Schon bei den ersten marinen Schweremessungen entdeckte man einen scheinbaren Widerspruch bei Wiederholungsbeobachtungen in verschiedenen Fahrtrichtungen. Die Klärung dieser Erscheinung verdanken wir Eötvös, weswegen man noch heute vom Eötvös-Effekt spricht. Er liegt einfach in der Newtonschen Mechanik begründet. Bewegt sich nämlich ein Schiff auf einem Kurs von West nach Ost, so addiert sich seine Geschwindigkeit zur Rotationsgeschwindigkeit der Erde. Dies führt zu einer Vergrößerung der Fliehkraft und damit zu einer Abnahme der zu messenden Schwere. Bei einer Fahrt in OW-Richtung tritt natürlich der umgekehrte Effekt auf.
Wie man leicht übersieht, ist für die Ermittlung dieser Eötvös- Korrektur die Kenntnis des genauen Kurses und der genauen Geschwindigkeit des Schiffes Voraussetzung.
Diese hohen Anforderungen sind nur mit guten Ortungsverfahren zu erfüllen und auch nur dann, wenn in relativ kurzen Zeitintervallen die Schiffspositionen bestimmt werden. Eine Hifix-Ortung oder unser auf Seemessungen zugeschnittenes ANA-Verfahren wären voll ausreichend.
Vielleicht läßt sich zu einem späteren Zeitpunkt auch die Satelliten-Navigation zusammen mit einem Doppler-Verfahren entsprechend genau ausbauen, womit man dann auf die Senderketten an Land völlig verzichten könnte.
Mit der Eötvös-Korrektur kommen wir also von der Schwere in Fahrt auf die Schwere in Ruhe. Die dann noch anzubringenden weiteren Korrekturen wie Breitenkorrektur, Bouguer-Korrektur und gegebenenfalls eine der Geländekorrektur entsprechende Verbesserung, die die Unebenheiten des Meeresbodens berücksichtigt, sind praktisch die gleichen wie auch bei der Landgravimetrie; sie mögen deswegen hier nicht besonders erläutert werden.
Die Vielzahl aller notwendigen Daten, die später zu einer Schwerekarte führen sollen, läßt sich kaum noch von Hand verarbeiten. Wir werden deshalb schon in nächster Zukunft nicht nur die Gravimeterregistrierungen, sondern auch die Uhrzeit und die Ortungswerte zusammen mit der Wassertiefe auf Lochstreifen ausgeben, so daß der größte Teil dieser mühevollen Rechenarbeit von unserer Datenverarbeitungsanlage übernommen werden kann.
Wie genau sind nun solche Seegravimetermessungen? Eine erste Auswertung der bisher gravimetrisch vermessenen Profile hat gezeigt, daß der mittlere Fehler - errechnet aus den Widersprüchen an den Profilschnittpunkten - 3,1 mgal beträgt. Berücksichtigt man dabei, daß in diesem Fehler noch der volle Cross-coupling-Effekt enthalten ist, und daß auch die Eötvös-Korrektur wegen der noch nicht eingesetzten Datenerfassungsanlage nicht genau genug ermittelt werden konnte, so erscheint der eingangs genannte Wert von 1 mgal für die angestrebte Genauigkeit durchaus erreichbar.
Dieser Wert von 1 mgal bei einem Gesamtbetrag der Schwere, der bei 980000 mgal liegt, bedeutet immerhin eine relative Genauigkeit von 1 x 10-6, die man beispielsweise bei Magnetometermessungen noch längst nicht erreicht hat.
Vor allem darf man nicht vergessen, daß nicht die eigentliche Messung sondern in erster Linie die Bestimmung der Korrekturgrößen der Genauigkeit diese Grenze setzt. Wenn wir künftig neben den Verfahren der sprengstofflosen Seeseismik auch Seegravimetrie und vielleicht gar Seemagnetometrie anbieten und ausführen werden, dann können bei der Interpretation der Ergebnisse bei geringen Mehrkosten diese zusätzlichen und unabhängigen geophysikalischen Meßergebnisse mit Sicherheit große Dienste leisten, an denen viele Auftraggeber interessiert sein werden.
H. Ries