PRAKLA-SEISMOS Report 4 / 1976
Exkursion ins historische und geologische Mittelalter
Exkursion
Rathaus von Neubulach
  J. Hartleben

Von allen angewandten Naturwissenschaften steht als Hobby wohl manchem "Praklaner" die "Geologie mit dem Hämmerchen" am nächsten.

Eigentlich sollte man meinen, daß jemand, der tagsüber mit Hilfe der Geophysik und allerlei Tricks in die Geheimnisse der Geologie einzudringen versucht, seinen Bedarf an Zerstreuung in dieser Richtung gedeckt hätte. Tatsächlich gibt es bei uns aber Leute, die, angeregt durch ihre Arbeit, den Wochenendspaziergang so einrichten, daß vielleicht ein Steinbruch oder ein anderer "Aufschluß" am Wege liegen. Wahrscheinlich spielt auch der Sammeltrieb des Menschen dabei eine gewisse Rolle, sicher aber die Freude an den schönen Dingen der Natur.

Besonders gewinnbringend sind Ausflüge in die Natur aber dann, wenn sie zu gut organisierten Exkursionen unter sachkundiger Führung werden, wie zum Beispiel die Fahrten in den Harz und die Befahrungen des Kalibergwerkes in Salzdetfurth, die Dr. G. Schiel im Rahmen der geologischen Ausbildung des PRAKLA-SEISMOS-Personals in den vergangenen Jahren durchgeführt hat.

Das Interesse Dr. G.Schiels für den Erzbergbau als Geologe führte nun zu einer weiteren Exkursion, und so stiegen am 15. Oktober, einem Freitag, um 12 Uhr, 35 " Interessierte" in einen Autobus, um am Sonnabend bei Neubulach im Nordschwarzwald das historische Silberbergwerk zu "befahren", vor allem auch die für "normale" Besucher sonst nicht zugänglichen Stollen.

Asthma-Station im Bergwerk
Asthma-Station im Bergwerk
 

Während der Bus bei schönem Herbstwetter über die Autobahn rollte, erfuhren die Exkursionsteilnehmer alles Wissenswerte über den Neubulacher Bergbau, der um 1025, bald nach der Besiedelung des Schwarzwaldes, begonnen wurde, hörten von den kaum vorstellbaren Arbeitsbedingungen der Bergleute im Mittelalter, der Blütezeit Neubulachs zwischen 1200 und 1450, hörten über den Umgang mit Schlegel und Eisen, die Funktionsweisen der verschiedensten Grubenlampentypen und daß die Bezeichnung "Arschleder" ein durchaus salonfähiger Ausdruck sei.

Dann wurde die eigentliche Unternehmung in allen Einzelheiten besprochen: In wieviel Gruppen zu wieviel Mann die Befahrung durchgeführt würde, wie steil die Leitern in den Schächten und daß sie eventuell glitschig seien, wie man sich anzuseilen habe, daß die Gummistiefel und Arbeitsanzüge unerläßlich seien und daß am Zielort sicher noch ein warmes Abendessen gereicht würde. Immerhin war nun alles hinreichend gespannt auf den weiteren Verlauf und auch die teilnehmenden Damen wußten spätestens zu diesem Zeitpunkt, auf was für ein Abenteuer sie sich eingelassen hatten.

Die Fahrt verlief sehr fröhlich und harmonisch und als Herr Julius Paul ("Hier fährt der Chef selbst"), in einem bravourösen, millimetergenauen, von allen beklatschten Manöver, das Silbertor von Neubulach passiert hatte, fühlte sich wohl kaum jemand so erschöpft, daß er gleich zu Bette gehen wollte.

Die Grubenlampe wird mit Karbid aufgefüllt
Die Grubenlampe wird mit Karbid aufgefüllt
  Pilzbewuchs an einem Holzstempel im Hella-Glück-Stollen
Pilzbewuchs an einem Holzstempel im Hella-Glück-Stollen

Neubulach liegt ungefähr 600 m Ü. NN auf einer Hochfläche zwischen Nagold-und Teinachtal, in der Nähe von Calw. Es hat sein altes Stadtbild noch weitgehend erhalten können und Teile der Stadtbefestigung und hübsche Fachwerkhäuser zeugen vom einstigen Wohlstand. Neubulach ist eine reine " Bergstadt", wie auch die bekannten sieben Bergstädte im Harz, die ihre Entstehung einzig dem Bergbau verdanken.

Den Frühaufstehern bot sich am nächsten Morgen ein herrlich blauer Himmel und leichter Rauhreif auf den Wiesen. Als erste Veranstaltung war für 8 Uhr ein gemeinsamer Besuch des 240 m langen " Hella-Glück-Stollens" geplant. Dieser mindestens 600 Jahre alte Stollen wurde nach 1965 in 7000 freiwilligen und unentgeltlichen Arbeitsstunden von Bürgern Neubulachs unter maßgeblicher Beteiligung Dr. Schiels wieder befahrbar gemacht.

Wohlversehen mit Helmen und Plastikumhängen (gegen Tropfwasser) zogen 35 Leute im Gänsemarsch durch das "Mundloch". Die elektrische Beleuchtung ließ den Besucher fast vergessen, wie mühsam sich die Bergleute im 13. Jahrhundert in den Buntsandstein hineinhauen mußten. In zwei kurzen Seitenstrecken vermittelten lebensgroße Puppen in der Bergmannstracht des 16. Jahrhunderts einen lebendigen Eindruck von der Arbeit vor Ort.

Auffällig war auch die reine Luft im Stollen, die, wie die Erfahrung zeigte, ausgezeichnet zur Behandlung von Asthmakranken geeignet ist. Zu diesem Zweck wurde eine neue Seitenstrecke aufgefahren, in der 50 Sitzplätze eingerichtet sind.

Nachdem nun alles auf "Bergwerk" eingestimmt war, machte sich die erste Gruppe zur Befahrung des " Oberen Stollens" und des "Marien-Stollens" bereit. Schutzhelme, die stets bestrebt waren über Augen und Ohren zu rutschen, wurden mit List oder verhaltener Gewalt passend gemacht und nachdem jeder mit einer Grubenlampe versehen war, ging's mit "Glückauf" und gemischten Gefühlen in den Berg.

Die Konditionsübungen begannen bereits am "Mundloch". Durch einen teilweise zusammengebrochenen Hohlraum, der durch zwar wenige, aber dafür entsprechend große - von der Decke heruntergebrochene - Blöcke ("Sargdeckel") schwer passierbar war, gelangte man zum eigentlichen Stollen der, anfangs noch relativ bequem, mit einer lichten Höhe von ganzen 1,20 m begann, die Teilnehmer aber schon nach wenigen Metern in den "Entengang" nötigte (weil niedriger als 1 m und nur 50 cm breit) und in dieser Fortbewegungsart auch eine Weile beließ. Als sich der Stollen nach etwa 60 m wieder auf mehr als Mannshöhe erweiterte, konnte man im Scheine der Karbidlampen die Spuren von Schlegel und Eisen so gut erkennen, als seien sie erst vor wenigen Tagen entstanden und nicht schon 600 Jahre alt. Vorsicht war allerdings jederzeit geboten, denn die Feuchtigkeit hatte Boden und Wände glitschig gemacht.

Der Stollen verzweigte sich. Um in einen sehr engen Ouerschlag zu gelangen, mußte man vorsichtig einen Blindschacht umgehen, der bei Unachtsamkeit leicht zu einer drei Stockwerke tiefen Talfahrt verholfen hätte. Nach 100 m war das Ende des Ouerschlags erreicht, wo noch einiges von der Arbeitsweise der Bergleute zu erkennen war. Wieder am Blindschacht angelangt, ging es in anderer Richtung den Stollen weiter, bis, von oben kommend, ein Schacht zum "Marien-Stollen" führte. Hier ging es auf schwankender Aluminiumleiter 11 m in die Tiefe, wobei man sich zur Sicherheit anseilen konnte.

Der Marien-Stollen ist mit 1200 m der längste der Neubulacher Stollen. Er diente im 15. und 16. Jahrhundert der Ableitung der Grubenwässer (Erbstollen). Da das Mundloch verschüttet wurde, kann dieser Stollen nur auf dem beschriebenen Wege erreicht werden.

Dem Stollen folgend erreichte man nach 30 Metern einen weiteren sehr engen Schacht, aus dem zwar das Ende einer Alu-Leiter hervorschaute, von dem man sich aber nicht vorstellen konnte, daß ihn ein ausgewachsener Mensch passieren könnte. Jedoch war dies der einzig mögliche Weg in den 20 m tiefer gelegenen " Neuen Wasserstollen" zu gelangen. Das Passieren dieser "Hohlen Gasse" gestaltete sich derart schwierig und war durch das Abseilen so zeitraubend, daß die beiden folgenden Gruppen diesen schwierigen Durchstieg aus Zeitmangel nicht mehr machen konnten.

Unten glücklich angekommen, ging es durch das hier fließende Wasser in Richtung auf das ebenfalls verschüttete Mundloch, immer bedacht, kein Wasser in die Stiefel zu bekommen, was nicht allen Teilnehmern zur vollsten Zufriedenheit gelingen wollte. Nach 400 m - am verschütteten Mundloch - fiel es nicht leicht, sich vorzustellen, daß in nur 10 m Entfernung der Ziegelbach im hellen Sonnenschein vorbeifließt.

Die beiden folgenden Gruppen folgten dem MarienStollen weiter, wobei durch heruntergebrochenes Material und stellenweise tiefes Wasser der Weg immer beschwerlicher wurde. Als dann jemand das erste Handstück mit Azurit fand und Quarzkristalle glitzerten, erwachte das Sammelfieber und die Nasen berührten fast den glitschigen Boden bis das langsam tiefer werdende Wasser wieder eine andere Fortbewegungsart vorschrieb. Als der "Vorhut" schließlich der Wasserspiegel 10 cm über die Stiefelränder reichte, mußten wir umkehren, obwohl gerade dort die Kalksinterbildung besonders schön auf das hohe Alter des Stollens hindeutete. Wir waren aber ohnehin schon an einer Grenze angelangt, die eine Umkehr auch aus Sicherheitsgründen ratsam erscheinen ließ, weil die dahinterliegenden Teile des Stollens überaus gefährlich sind.

Als die letzte Gruppe glaubte wieder ans Tageslicht zu gelangen, war leider nicht mehr viel davon vorhanden und so zog eine hübsche "Lichterprozession" den Waldweg zurück zum Ausgangspunkt.

Da sich die drei Führungen über den ganzen Tag verteilten, blieb den Exkursionsteilnehmern, die nicht "im Berg" waren, noch ausreichend Zeit die Halden zu durchstöbern. Zum Teil wurden sehr schöne Stücke mit Azurit, Malachit, Annivit usw. gefunden. Die erste Gruppe hatte Gelegenheit eine Fahrt zum romantischen Zavelstein, der wohl kleinsten Stadt Deutschlands mit ca. 300 Einwohnern und einer schönen Burgruine zu machen.

Abends trafen wir uns dann wieder in einem gemütlichen Gasthaus Neubulachs, um bei "neuem Wein", oder auch etwas " Besserem", die Erlebnisse des Tages auszutauschen.

Nachdem am Sonntagmorgen kurz vor Abfahrt des Busses noch schnell der Fleischer seinen Laden öffnete, um Gelegenheit zum Kauf eines Stückes vom berühmten "Schwarzwälder Schinken" zu geben, ging es auf den Heimweg.

Das Gestein wird gründlich geprüft!
Das Gestein wird gründlich geprüft!
  J. Hartleben als Vorhut im knietiefen Wasser des Marien-Slollens
J. Hartleben als Vorhut im knietiefen Wasser des Marien-Stollens
... und das sind die Folgen!
... und das sind die Folgen!
 


Große Aufregung herrschte jedoch schon nach den ersten 100 m Fahrtstrecke, weil "die kleine schwarze Tasche" fehlte. Unter fröhlichem Gelächter drehte der Bus noch eine " Ehrenrunde". Doch alle Aufregung war für die Katz, denn die Tasche fand sich im Kofferraum wieder.

Die Fahrt führte durch das schöne Nagoldtal zum Kloster Hirsau, dessen Besichtigung auch Kulturbanausen beeindrucken kann. Wenn sich auch das Wetter zusehends verschlechterte, nahm doch jeder die Gelegenheit wahr, hier auf engstem Raum die großen Baustilepochen, wie Romanik, Gotik und Renaissance, einträchtig vereint, zu besichtigen. Auch dem Fotofreund boten sich in dieser romantischen Klosterruine herrliche Motive.

Zur zweistündigen Mittagspause hielt der Bus direkt am Heidelberger Schloß, wo jeder nach Belieben seine Zeit verbringen konnte. Der letzte Teil der Rückfahrt verlief trotz stetiger Verkehrsstau-Warnungen recht glimpflich und nachdem wir noch einmal zum Abendessen Halt gemacht hatten, kamen wir schließlich gegen 21 Uhr zwar müde, aber um viele interessante Eindrücke reicher, wieder in Hannover an.
"Herzlichen Dank, Dr. Schiel, für diese schöne Exkursion!"


Museumsbergwerk Neubulach, Nordschwarzwald, entstand durch die maßgebliche Mitwirkung von Dr. G. Schiel

Unser Mitarbeiter Dipl. Geol. Dr. Günter Schiel besuchte die fast verschütteten Reste des alten Silberbergwerkes aus dem Mittelalter in Neubulach im Schwarzwald bereits während seines Studiums an der Universität Stuttgart, erstmalig im Jahre 1950. Bis 1953 befuhr er die Grube, soweit dies überhaupt möglich war, mehrmals um sie zu erforschen, wobei ihm seine Erfahrung als Höhlenforscher in den Südkarpaten sehr zugute karn. Diese Arbeiten ruhten dann bis zum Jahre 1965 als der Seismiktrupp Dr. Schiel in der Gegend von Heidelberg einen Meßauftrag durchführte. Dr. Schiel begeisterte einige seiner Mitarbeiter für die Wiederaufnahme der Forschungsarbeiten. Ihr Interesse blieb nicht unbemerkt. Die Einwohner von Neubulach, die lediglich wußten, daß es ein solches Bergwerk im Mittelalter gegeben haben soll, schlossen sich z. T. den Arbeiten an, allen voran die Herren Stadtrat E. Fischer und B. Pfeifer.

1968 kam der Gedanke auf, den alten Bergbau für den Fremdenverkehr nutzbar zu machen. Der damalige Bürgermeister D. Nittel schrieb an Dr. Schiel und bat um seine Mitarbeit. Schiel sagte zu und gewann Grubenbetriebsführer H. Meier, Fahrsteiger H. Gerland und andere Fachleute von der "Kali und Salz AG" für die Mitarbeit. Zahlreiche Bürger von Neubulach arbeiteten ebenfalls begeistert mit. In über 7000 freiwilligen Arbeitsstunden wurde ein geeigneter Stollen aufgewältigt und für Besucher eingerichtet.

  Dr. Schiel bei der Erforschung, 1966
Dr. Schiel bei der Erforschung, 1966

Im Jahre 1970 wurde das Museumsbergwerk eröffnet. Es wird ständig stark besucht - bis jetzt wurden etwa 250 000 Besucher gezählt - nicht zuletzt wegen der Eignung der Grubenluft für die Behandlung von Asthma kranken.

Dr. Schiel versucht nun mit seinen Forscher-Gefährten vom Kalibergbau die Grube weiter aufzuschließen und die aus überlieferten Augenzeugenberichten verbürgten Hohlräume zu erreichen, die, von Malachit und Azurit überbesäht, die "herrlichsten Farben" zeigen sollen. Wann er sein Ziel erreichen wird ist ungewiß denn er kann sich nur während seines Urlaubs diesen Forschungsarbeiten widmen.

Red.